Lipödem

Update 21.06.2023

In Deutschland leidet jede 10. Frau an einem Lipödem, einer krankhaften Störung der Fettverteilung. Noch immer ist die Erkrankung wenig bekannt – sie wird häufig für eine Adipositas gehalten. Den betroffenen Frauen wird dann empfohlen, sich gesünder zu ernähren, mehr Sport zu treiben und abzunehmen. So vergehen oft viele Jahre bis zur Diagnosestellung – eine schmerz- und leidvolle Zeit.

Was ist ein Lipödem?
Das Lipödem ist eine Stoffwechselerkrankung, bei der es zu einer fortschreitenden Störung der Fettverteilung kommt. Charakteristisch ist eine symmetrische Vermehrung des Fettgewebes: vor allem an den Beinen, den Hüften und am Gesäß, manchmal auch an den Armen, während Oberkörper, Hände und Füße nicht betroffen sind – sie bleiben schlank. Das Lipödem ist mit starken Berührungs- und Druckschmerzen und vielfältigen Begleit- und Folgeerkrankungen verbunden.

Wer ist betroffen?
An einem Lipödem erkranken fast ausnahmslos Frauen, am häufigsten zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr. Männer sind nur selten betroffen – in diesen Fällen liegen hormonelle Störungen vor, z. B. infolge einer schweren Lebererkrankung oder durch eine Hormontherapie bei Prostatakarzinom.

Wie entsteht ein Lipödem?
Die genaue Ursache ist noch nicht hinreichend geklärt. Vermutet wird, dass das Lipödem sowohl genetisch als auch hormonell bedingt ist. So treten Lipödeme häufig während der Pubertät, zu Beginn oder nach Absetzen einer hormonellen Verhütungsmethode, nach einer Schwangerschaft und in den Wechseljahren auf.

Außerdem konnten vermehrt Entzündungszellen im Fettgewebe nachgewiesen werden: Kennzeichen einer Entzündung im Lipödem-Gewebe.

Wie äußert sich ein Lipödem?
Bei einem Lipödem kommt es zu einer unkontrollierten Vermehrung und Vergrößerung der Fettzellen im Fettgewebe der Unterhaut. Die Betroffenen leiden unter „schweren Beinen“ und zunehmenden Druck- und Berührungsschmerzen.

Gleichzeitig erkranken die kleinsten Blutgefäße (Kapillaren) in den betroffenen Bereichen, was zu einer erhöhten Brüchigkeit führt. Bereits leichter Druck verletzt die winzigen Gefäße, wodurch es zu Einblutungen ins Unterhautgewebe kommt – blaue Flecken oder auch massive Blutergüsse (Hämatome) entstehen.

Doch nicht nur Blut, auch Wasser tritt ins Gewebe aus. Diese Wassereinlagerungen (sogenannte Ödeme) zwischen den Fettzellen drücken ebenfalls schmerzhaft auf das umliegende Gewebe.

Beim Lipödem werden drei Stadien unterschieden:

  • In Stadium I ist das Fettgewebe gleichmäßig verteilt; die Hautoberfläche ist glatt.

  • In Stadium II entstehen knotige Strukturen; die Hautoberfläche wird uneben, es zeigen sich Wellen und größere Dellen.

  • In Stadium III ist das Fettgewebe stark vermehrt und verhärtet; an den Innenseiten der Oberschenkel und an den Knien entstehen überhängende Fettwülste, die das Gehen behindern.

Welche Sekundär- und Begleiterkrankungen können auftreten?
Im Laufe der Erkrankung kommt es zu vielfältigen, überaus belastenden Beschwerden. So entwickelt sich aus dem Druck- und Berührungsschmerz häufig ein chronischer Schmerz, indem Schmerz durch Reize ausgelöst wird, die bei gesunden Menschen keine Reaktion auslösen, wie etwa das Übereinanderschlagen der Beine.

Die ausgeprägten Fetteinlagerungen an den Innenseiten der Oberschenkel behindern das Gehen – sie verursachen ein schmerzhaftes Wundscheuern. Dadurch kann es zu Entzündungen und Infektionen kommen.

Schreitet das Lipödem in den Unterschenkeln fort, wird durch den Druck im Gewebe der Abfluss von Lymphflüssigkeit behindert. Durch den Stau kann ein sekundäres Lymphödem entstehen, das für weitere Schwellungen sorgt, auch an den Füßen.

Auch entwickeln sich aufgrund des Mehrgewichts und der Ungleichmäßigkeit des Körpers häufig orthopädische Erkrankungen, zum Beispiel Fehlstellungen und Gelenkverschleiß.

All diese Beschwerden haben erhebliche Auswirkungen auf die Lebensqualität und den Alltag der Betroffenen. Es kann zu Arbeitsunfähigkeit, Immobilität und Bettlägerigkeit kommen. Bei vielen Betroffenen treten Ess- und Schlafstörungen auf, auch Depressionen sind häufige Folgeerkrankungen

Daneben berichten Frauen, die an einem Lipödem leiden, häufig über vielfältige Begleiterkrankungen und –erscheinungen, zum Beispiel:

  • Schilddrüsenunterfunktion
  • Hashimoto
  • Östrogendominanz
  • Progesteronmangel
  • Regelschmerzen
  • Polyzystische Ovarien

Wie wird ein Lipödem festgestellt?
Leider wird das Lipödem fälschlicherweise immer noch häufig für Übergewicht bzw. Adipositas (Fettleibigkeit) gehalten. So bleibt es lange unerkannt – und damit unbehandelt.

Auch von anderen Erkrankungen muss das Lipödem abgrenzt werden, zum Beispiel vom Lymphödem oder einer Herz- und Niereninsuffizienz. Was die Diagnose zusätzlich erschwert: Lipödem und Adipositas können gleichzeitig auftreten. Auch kann aus einem Lipödem ein sekundäres Lymphödem entstehen. Liegen Lymphödem und Lipödem gleichzeitig vor, spricht man von einem Lipolymphödem.

Die Diagnose erfolgt entweder durch Hausärztinnen und -ärzte oder in der Facharztpraxis, zum Beispiel für Dermatologie oder Gefäßerkrankungen. Lipödem-erfahrene Ärztinnen und Ärzte erkennen häufig schon auf den ersten Blick, dass ein Lipödem vorliegt: am typischen symmetrisch auftretenden Erscheinungsbild.

Zunächst findet aber immer ein ausführliches Anamnesegespräch statt, bei dem nach krankheitstypischen Beschwerden und nach hormonellen Veränderungen gefragt wird. Wenn in der Familie bereits Frauen an einem Lipödem erkrankt sind, ist das ebenfalls ein wichtiger Hinweis.

Anschließend erfolgt die körperliche Untersuchung. Die Haut wird an den betroffenen Stellen sorgfältig abgetastet und das Gewebe eingedrückt. Druckschmerz ist, wie bereits ausgeführt, ein charakteristisches Merkmal eines Lipödems.

Auch sind verschiedene Tests hilfreich: Beim paradoxen Kneiftest wird die Patientin in die Innenseite und die Außenseite des Oberschenkels gekniffen. Schmerzt es an der Außenseite stärker als innen, ist ein Lipödem wahrscheinlich. Normalerweise ist es umgekehrt.

Beim Stemmer-Test wird versucht, die Hautfalte über dem zweiten und dritten Zeh mit Daumen und Zeigefinger anzuheben. Lässt sie sich durch die Verhärtung des Gewebes nicht anheben, spricht man von einem positiven Stemmer-Zeichen, das auf ein Lymphödem hinweist. Ein negatives Stemmer-Zeichen, also wenn sich die Haut anheben lässt, deutet auf ein Lipödem hin.

Wie wird das Lipödem behandelt?
Das Lipödem ist eine chronisch fortschreitende Erkrankung, die noch nicht ursächlich behandelt werden kann. Dennoch gibt es verschiedene effektive Maßnahmen,

  • die Symptome zu lindern
  • ein Fortschreiten der Erkrankung zu verlangsamen oder aufzuhalten
  • die Folgeerscheinungen der Erkrankung zu verhindern
  • die Lebensqualität der Patientinnen zu verbessern

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Grundsätzlich stehen zwei Behandlungskonzepte zur Verfügung:

Bei der konservativen Therapie werden verschiedene Therapiemaßnahmen zur Entstauung parallel eingesetzt: Hier hat die Kompressionstherapie mit maßgefertigter Kompressionsbekleidung einen festen Platz. Auch die manuelle Lymphdrainage, bei der der Abfluss von Flüssigkeitsansammlungen im Gewebe mit speziellen physiotherapeutischen Techniken angeregt wird, hilft die Symptome zu lindern. Die apparative intermittierende Kompression (mit Geräten) kann zwischen den Lymphdrainage-Sitzungen ergänzend eingesetzt werden.

Auch Bewegung ist hier eine wichtige Behandlungssäule: Besonders empfehlenswert sind alle Sportarten, die im Wasser stattfinden: Schwimmen, Wasser-Gymnastik, Aqua-Jogging etc. Aber auch Gymnastik, Walking und Radfahren sind gut geeignet. Sport hilft den Betroffenen auch dabei, nicht weiter zuzunehmen bzw. Gewicht zu reduzieren – das ist für die Prognose ihrer Erkrankung von wesentlicher Bedeutung.

Bei vielen Frauen können die konservativen Maßnahmen die Beschwerden nicht ausreichend lindern – dann wird zu einer  Operation geraten. Bei der Lipödem-Liposuktion wird das erkrankte Gewebe im Rahmen einer Fettabsaugung unter örtlicher Betäubung entfernt. Der Eingriff sollte in einer spezialisierten Klinik durchgeführt werden.

Seit 2020 werden die Kosten für die operative Fettabsaugung bei einem Lipödem in Stadium III von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen – aber nur unter bestimmten Voraussetzungen, die der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) definiert hat. So soll zum Beispiel bei Patientinnen mit einem Body Mass Index (BMI) ab 35 zunächst eine Behandlung der Adipositas stattfinden, bei einem BMI ab 40 soll keine Liposuktion durchgeführt werden. (Gemeinsamer Bundesausschuss)

Die Kostenübernahme ist zunächst bis 2024 befristet Der G-BA hatte im Januar 2018 wegen der schlechten Studienlage zu den Vor- und Nachteilen einer Liposuktion beim Lipödem eine eigene Erprobungsstudie beschlossen. Bis zum 31. Dezember 2024 werden die Ergebnisse erwartet. Dann wird der G-BA abschließend zur Methode für alle Stadien der Erkrankung entscheiden.

Update:
Mit der Behandlung von Lipödemen beschäftigt sich aktuell der Ausschuss für Gesundheit des Deutschen Bundestages: Am 21. Juni 2023 fand eine Anhörung über Anträge der Fraktion Die Linke und der Unionsfraktion statt, in denen die Abgeordneten eine bessere Versorgung der Betroffenen fordern. Die Liposuktion sollte schon in einem früheren Krankheitsstadium genutzt werden, forderten Sachverständige in der Anhörung des Gesundheitsausschusses sowie in schriftlichen Stellungnahmen.

Was können Sie selbst tun?
Ernähren Sie sich ausgewogen
Auch wenn sich die durch das Lipödem entstandenen Fettdepots nicht durch eine Diät reduzieren lassen, spielt die Ernährung bei der Lipödem-Behandlung eine wichtige Rolle. Zusätzlich zu ihrer Lipödem-Erkrankung entwickeln ca. 60 Prozent der Betroffenen starkes Übergewicht aufgrund ihres Lebensstils, was wiederum die Symptome des Lipödems verstärkt, insbesondere die Schwellungen.

Grundsätzlich wird eine Ernährung empfohlen, die Blutzucker- und Insulinspitzen vermeidet, da ein hoher Insulinspiegel die Entwicklung von Fettgewebe fördert. Eine günstige Wirkung hat zum Beispiel die mediterrane Kost mit viel Obst, Gemüse, Olivenöl und Fisch. Verzichtet werden sollte zum Beispiel auf verarbeitetes Fleisch, Kartoffeln, Zucker, Weißmehlprodukte wie Nudeln, Pizza oder Brot, vollfette Milchprodukte, Süßes und Salziges.

Viele Praxen und Kliniken bieten eine Ernährungsberatung an, die den Patientinnen hilft, ihre Ernährung und die Ernährungsgewohnheiten dauerhaft umzustellen.

Lernen Sie, sich zu entspannen
Entspannung ist eine tragende Säule der Therapie. In Fachkliniken zählt die Vermittlung von Entspannungsmethoden wie Meditation oder Yoga deshalb zu einem breitgefächerten Lipödem-Therapiekonzept.

Schenken Sie Ihrer Haut viel Aufmerksamkeit
Die Haut von Lipödem-Patientinnen benötigt besonders viel Feuchtigkeit und Rückfettung, etwa durch Öle und Cremes. Kühlende Gele können auch leicht schmerzlindernd wirken. Im Sommer können Sie Ihre Haut mit Kühlpads kühlen.

Suchen Sie psychotherapeutische Hilfe
Wenn Sie spüren, dass die Belastungen durch Ihre Erkrankung übermächtig zu werden drohen, scheuen Sie sich nicht, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Sprechen Sie Ihre Ärztin bzw. Ihren Arzt an und fragen Sie nach entsprechenden Adressen.

Bleiben Sie informiert
Im Internet finden Sie zahlreiche Anlaufstellen – mit aktuellen Informationen und der Möglichkeit zum Erfahrungsaustausch, zum Beispiel die LipödemGesellschaft e. V.

Auch gibt es eine Vielzahl an Selbsthilfegruppen für Patientinnen, sicherlich auch in Ihrer Nähe. Hier lernen Sie Frauen kennen, die ebenfalls an einem Lipödem erkrankt sind. Geben Sie Ihre Erkenntnisse weiter und lernen Sie von den Erfahrungen der anderen. Ob es um Therapien, Kontaktadressen von Ärztinnen / Ärzten und Kliniken, um Krankenkassen-Fragen oder praktische Alltagstipps geht: Es ist wichtig, informiert zu bleiben. Und es tut gut, zu sehen: Sie sind nicht allein.

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