Allergieforschung

Allergien 2017:Stand der Dinge

Allergien sind eine echte Volkskrankheit. Rund 30 Millionen Menschen in Deutschland sind betroffen – Tendenz steigend. Entsprechend groß ist das Interesse an den therapeutischen Möglichkeiten: sowohl von wissenschaftlicher Seite als auch bei den Allergiepatienten.

In Sachen Therapie gibt es denn auch viel zu tun: Nur 10 Prozent der Betroffenen in Deutschland würden adäquat behandelt, stellt Andrea Wallrafen, Geschäftsführerin des Deutschen Allergie- und Asthmabundes e.V., fest. Auch der Ärzteverband Deutsche Allergologen e.V. bezeichnet die Versorgungssituation der Allergiepatienten als mangelhaft und spricht von einer anhaltendenden Herausforderung im 21. Jahrhundert.

Die 6. Düsseldorfer Allergietage
Über mangelndes Interesse konnten sich die Veranstalter, das Universitätsklinikum Düsseldorf und die Düsseldorf Congress Sport & Event GmbH, denn auch nicht beklagen. Unter der Schirmherrschaft von Barbara Steffens, Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen, trafen sich am 10. und 11. März Ärzte und medizinisches Fachpersonal sowie betroffene Allergiker und Interessierte zum Erfahrungsaustausch und zur Diskussion.

Wir hatten die Möglichkeit, ein Gespräch mit Dr. med. Stephan Meller, dem wissenschaftlichen Programmleiter UniversitätsAllergiezentrum, Düsseldorf, zum Stand der Dinge in der Allergietherapie zu führen.

Dr. med. Stephan Meller, Wissenschaftlicher Programmleiter UniversitätsAllergiezentrum, Düsseldorf


Herr Dr. Meller, welche aktuellen Trends gibt es in der Allergieforschung?
Es wird weiterhin daran gearbeitet herauszufinden, was eine Allergie verursacht und wie sie entsteht. Das ist letztlich die Basis für die Entwicklung neuer Therapieformen. Da reden wir vor allem über die spezifische Immuntherapie, also Desensibilisierung, wie sie auch genannt wird. Hier gibt es immer wieder neue Entwicklungen, die zu wirksamen und nebenwirkungsarmen Präparaten führen.

Was sind das für Präparate?
Hier muss man etwas weiter ausholen, da sämtliche Hersteller aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen neue Wirksamkeitsnachweise erbringen müssen. In diesem Zuge gibt es zahlreiche neue, zum Teil auch schon zugelassene Präparate, zum Teil laufen die klinischen Studien oder Zulassungsverfahren auch noch. Als Beispiel sei hier die Hyposensibilisierung durch Tabletten genannt, die von der Anwendung her für den Patienten sehr bequem ist. Man muss nicht mehr monatlich zum Spritzen, sondern kann die Therapie selbst zu Hause durchführen.

Kommen wir zur Diagnostik. Es scheint so, als ob die Diagnosemöglichkeiten individueller werden in Bezug auf die Identifizierung der auslösenden Allergene. Können Sie diesen Eindruck bestätigen?
Sie werden präziser. Früher konnte man zum Beispiel nicht unterscheiden, ob der Patient wirklich eine Birkenpollen-Sensibilisierung hat oder ob es sich um eine Kreuzallergie handelt, denn was man zum Testen benutzt hat, war ein Extrakt, in dem viele verschiedene Allergene enthalten waren. Bei den neuen diagnostischen Möglichkeiten können wir wirklich sagen, dieser Patient reagiert gegen Birkenpollen, eine Hyposensibilisierung macht Sinn. Die Diagnostik wird präziser und damit im Verlauf auch die Therapie.

Wenn man vorher in einem Test zum Beispiel vier Allergene hatte und diese nun einzeln testen kann, bedeutet das eine größere Anzahl von Tests zur präzisen Bestimmung der Sensibilisierung. Spielen die gesetzlichen Krankenkassen da mit?
Es gibt leider nur eine bestimmte Anzahl von Allergentests, die von der Krankenkasse erstattet werden. Einen Patienten, der viele Allergien hat, kann man durch diese präzisen Tests aufgrund der Erstattungsregeln nicht hinreichend diagnostizieren. Wenn Sie sich vorstellen, jemand reagiert auf Birkenpollen, Gräser und Erdnüsse: Für jede dieser Reaktionen müssen mehrere Komponenten geprüft werden. Bei polysensibilisierten Patienten stößt man schnell an Grenzen.

Wäre es wünschenswert, wenn die Kassen diesen präziseren Möglichkeiten der Allergenbestimmung Rechnung tragen würden?
Absolut. Im Endeffekt würden die Kassen davon profitieren, weil dadurch die Diagnose exakter ist und damit auch die Therapie. So kann man heute gut unterscheiden, ob es sich bei Insektengift-Allergien um Bienen- oder Wespengift handelt. Früher hat man zum Teil doppelt behandelt, weil man es nicht besser diagnostizieren konnte. Man spart also Therapiekosten.

Zu den Düsseldorfer Allergietagen. Wie lange machen Sie das schon und wie zufrieden sind Sie mit der diesjährigen Veranstaltung?
Wir machen das jetzt im sechsten Jahr und sind sehr zufrieden. Wir sind jetzt wieder etwas gewachsen. Ich sage das unter Vorbehalt, weil die endgültigen Zahlen noch nicht vorliegen. Vor allem die Fachtagung wird sehr gut angenommen, die Teilnehmerzahlen steigen. Bei der Patientenveranstaltung hätten wir uns noch etwas mehr Zuspruch gewünscht, aber das gute Wetter lockt die Leute heute wohl eher an den Rhein statt ins Kongresszentrum.

Zum Abschluss noch eine Frage zu einem Statement des Ärzteverband Deutsche Allergologen e.V. Diese sprechen in einem hier verteilten Flyer davon, dass „die Versorgung der Allergiepatienten mangelhaft“ sei, viele Allergiker erst „nach einer Odyssee unqualifizierter und unzureichender Diagnostik- und Therapieversuche“ richtig behandelt würden und kritisieren, dass die Allergologie in Deutschland nicht als eigenes Fachgebiet anerkannt wird. Was sagen Sie dazu?

Das ist berechtigt. Das hat einerseits etwas damit zu tun, dass die diagnostischen Tätigkeiten in vielen Regionen nicht in ausreichendem Umfang vergütet werden. Der Allergiepatient braucht einfach Zeit, um sich mit ihm zu beschäftigen und eine individuelle und präzise Diagnose zu stellen. Das ist oft wirtschaftlich nicht darstellbar. Aus diesem Grunde müssen viele niedergelassene Ärzte ihre allergologischen Untersuchungen und Therapien einschränken.

Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Dr. Meller!

Bildquelle: © belazona.de