Krankenhaus-Kost

Nachgefragt: Was kommt in der Klinik auf den Teller?

Der vegetarische Speiseplan gehört längst zum Standardprogramm einer Klinik. Aber was ist eigentlich mit Patienten, die sich für ein sehr spezielles Ernährungskonzept wie z. B. Frutarismus oder Paleo entschieden haben? Auch diese Ernährungsformen finden immer mehr Anhänger. Wir haben im Uniklinikum der RWTH Aachen nachgefragt und mit Birgit Tollkühn-Prott, leitende Ernährungsberaterin/Diätassistentin, über Vor- und Nachteile bestimmter Ernährungskonzepte gesprochen.

Dass die Ernährung wichtig für unsere Gesundheit ist, wissen wir alle. Aber welche Auswirkungen sie genau hat, wie sich ein bestimmter Mangel auswirkt und wie die Ernährung eine Therapie unterstützen kann, darüber gibt es oft noch große Wissens-Grauzonen.

Birgit Tollkühn-Prott beschreibt den Stellenwert der Ernährung im Alltag einer Klinik: „Die Ernährung nimmt eine größere Rolle ein, als viele Patienten meinen – besonders in der Diabetes- und Krebstherapie ist sie eine wichtige Therapiesäule. Aber auch in anderen Bereichen, wie z. B. in der Beratung junger Familien nach der Geburt, nimmt das Thema eine immer stärkere und wichtigere Rolle ein. Für den „normalen” Alltag gilt: Würden sich die Menschen generell gesünder ernähren, könnten Zivilisationskrankheiten, wie z. B. einige Herz-Kreislauf-Erkrankungen, in manchen Fällen verhindert werden.”

Vegetarische Speisepläne sind schon lange im Klinikalltag angekommen und haben hier sogar ihre medizinische Berechtigung. Die fett- und cholesterinarme pflanzliche Ernährung ist z. B. eine etablierte Therapiesäule bei Arteriosklerose, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes. Andere Ernährungsformen sind meist nicht geeignet, um die Genesung und Gesundheit zu fördern, und werden deshalb auch nicht als Therapiesäule genutzt.

„Eine individuelle vegane Kostabsprache ist hier in der Klinik möglich, wenn therapeutisch nichts dagegen spricht. Aber generell raten wir nicht dazu, weil ohne Supplementierung in der Regel Mangelerscheinungen auftreten. Veganer haben ein hohes Risiko, zu wenig Eiweiß, Vitamin B12, Eisen, Zink, Jod, Kalzium etc. aufzunehmen. Extreme Ernährungskonzepte, wie z. B. Frutarismus, sind weder als kurzfristige Therapiesäule noch als Dauerernährung zu empfehlen”, führt die Expertin weiter aus.

Hat die Ernährung denn auch Einfluss auf die Therapiewahl? Birgit Tollkühn-Prott: „Unabhängig von der Erkrankung: Ein Frutarier bekommt keine andere Therapie als ein Vegetarier oder ein Alles-Esser. Wird im Blutbild ein auffälliger Makro- oder Mikronährstoffmangel festgestellt, kann der Arzt die Substitution vorsehen.”

In enger Abstimmung mit dem Patienten wird dann ein Ernährungsplan erstellt, um diesen Mangel zu korrigieren. Bei Patienten mit extremen Ernährungsformen sind dann manchmal Kompromisse nötig und argumentatives Fingerspitzengefühl bei Ärzten und Diätassistenten

„Im Idealfall wird der Makro- oder Mikronährstoffmangel über eine Modifikation der täglichen Ernährung ausgeglichen. Bei Veganern z. B ist das manchmal nicht möglich. Ihnen kann dann empfohlen werden, solange auf Ovo-lacto-vegetabile Kost umzustellen, bis dieser Mangel ausgeglichen ist. Die Hinzunahme tierischer Lebensmittel macht therapeutisch Sinn, weil tierische  Lebensmittel immer besser vom Körper verarbeitet werden können, da deren Bioverfügbarkeit viel höher ist – aber sie entspricht nicht ihrer Lebensweise. Wenn der Veganer mitmacht, ist das günstig – wenn nicht, sind Nahrungsergänzungsmittel und Nahrungssupplemente die Alternative. Dann wird supplementiert, eventuell sogar mit Infusionen. Aber generell gilt immer: Der Wille des Menschen ist unantastbar.”

Ein Klinikaufenthalt ist oftmals der Start zu einer gesunden Ernährung. Die Ernährungsberatung in der Klinik soll Patienten für das Thema sensibilisieren und Tipps für die außerklinische Ernährung geben – generell und erkrankungsspezifisch.

„Manchen, meist älteren Patienten, ist die Bedeutung ihrer Ernährung für ihre Erkrankung gar nicht bewusst, andere sind sehr verunsichert, weil es eine wahre Flut an Informationen mit teilweise unterschiedlichen Standpunkten gibt. Wir versuchen ihnen Basiswissen zu vermitteln und geben praktische Tipps und gute Literaturquellen, wo man sich am besten informieren kann. Besonders Jugendliche und junge Erwachsene probieren auch gerne mal Ernährungstrends aus, ohne die Folgen der teilweise radikalen Vorgaben zu bedenken. Hier versuchen wir Aufklärungsarbeit zu leisten”, beschreibt Birgit Tollkühn-Prott ihre Arbeit.

Qualitativ hochwertige Studien, frei von Lobbyarbeit, erleichtern Ernährungsberatern ihre (Überzeugungs-) Arbeit. Eine gute Studienlage liegt mittlerweile zur vegetarischen Ernährung vor. Eine Studie des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) mit gesundheitsbewusst lebenden Menschen hat z. B. ergeben, dass Vegetarier ein etwa 30 Prozent geringeres Risiko hatten, an einer ischämischen Herzkrankheit zu sterben, und dass sich mit steigendem Konsum von Fleisch, Wurst und Co. das Risiko erhöhte, an Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu sterben.

Vegetarische Ernährung ist gut – mäßiger Fleischkonsum besser
. Zudem wird bei vegetarischer Ernährungsweise das Risiko, an Krebs zu erkranken, um 10-18 Prozent gesenkt. „Weniger Fleisch! Das raten wir immer wieder Patienten, die nicht fleischfrei leben, unabhängig von ihrer Erkrankung. Die meisten essen zu viel und zu häufig Fleisch. 300-600 Gramm Fleisch pro Woche ist unsere Empfehlung”, schildert Birgit Tollkühn-Prott eine zentrale und permanente Botschaft ihrer Beratung.

Aus gesundheitlicher Sicht ist ein kompletter Verzicht auf Fleisch aber nicht die Maxime, das belegt eine weitere Studie des DKFZ: Am gesündesten leben demnach diejenigen, die gelegentlich Fleisch in ihren Speiseplan integrieren, was die Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung widerspiegelt.

So sieht es auch die leitende Ernährungsberaterin der Universitätsklinikums in Aachen: „Wir empfehlen unseren Patienten auch ganz klar eine ausgewogene Mischkost nach den Vorgaben der DGE. So werden wir mit allen wichtigen Nahrungsbausteinen versorgt. Fleisch ist Lieferant von wichtigen Mineralstoffen und Vitaminen, wie z. B. B1, B6 und B12. Weißes Fleisch ist unter gesundheitlichen Gesichtspunkten günstiger zu bewerten als rotes Fleisch.”

Andere Ernährungstrends sind hingegen kaum untersucht, haben aber durchaus positive Aspekte. Birgit Tollkühn-Prott: „Von der Grundidee ist z. B. die Paleo-Bewegung schon okay, wenn man ausreichend Kohlenhydrate aus Obst, Gemüse etc. aufnimmt. Ein Vorteil ist, dass der Insulinspiegel sehr niedrig gehalten wird. Das kann bei verschiedenen Zivilisationskrankheiten sehr nützlich sein. Allerdings braucht man hier viel ernährungsphysiologisches Wissen, um sich ausreichend mit allen Mikro- und Makronährstoffen etc. zu ernähren.”

Positiv sieht die Ernährungsberaterin auch den Trend hin zum „Clean Eating“: „Tolle Bewegung – back to roots of nature. Reines Essen, keine verarbeiteten Lebensmittel, alles so natürlich, so „bio“ wie möglich. Frisch und selber kochen –eigentlich perfekt, wenn die richtigen Zutaten gewählt werden. Je kürzer die Zutatenliste, desto besser.”

Fazit: Vegetarische Ernährung ist im klinischen Alltag vieler Krankenhäuser integriert – als Wahlmöglichkeit auf dem Speiseplan und in der Therapie bestimmter Erkrankungen. Andere Ernährungsnischen nicht: zum einen weil sie aus ernährungsphysiologischer und gesundheitlicher Sicht abzulehnen sind (z. B. Frutarismus) und zum anderen, ganz schlicht und einfach, weil sie durch die geringe Patientenanzahl organisatorisch schwer umzusetzen sind (z. B. Clean Eating).

Bildquellen: © 135pixels, fotolia.com; Birgit Tollkühn-Prott