Abbildung Johannes Nießen, kommissarischer Leiter des neu zu errichtenden Bundesinstituts für Prävention und Aufklärung in der Medizin (BIPAM)

BIPAM und Prävention

Neues Konzept für Gesundheitsaufklärung

Stand: 17.11.2023

Sehr teuer, dafür aber im internationalen Vergleich nicht effektiv: Dieses wenig schmeichelhafte Urteil fällt Prof. Karl Lauterbach über das deutsche Gesundheitssystem. Die für jeden Bundesbürger pro Jahr ausgegebenen 5.000 EUR seien im internationalen Vergleich mehr als 50 % höher als der europäische Durchschnitt. Das zahle jedoch nicht auf die Lebenserwartung ein, denn die sei im europäischen Vergleich nur durchschnittlich, verglichen mit west- und nordeuropäischen Ländern sogar schlechter.

Eine Ursache dafür sieht Lauterbach in der „mangelhaften Vorbeuge-Medizin“. Das deutsche Gesundheitssystem sei sehr stark darauf ausgerichtet, erst dann einzugreifen, wenn sich eine Erkrankung bereits zeige. Dann greife der Apparat aus Diagnose, Analyse möglicher Begleiterkrankungen, Behandlung von Komplikationen. Nach Lauerbachs Lesart zu spät, daher auch zu teuer und zu ineffektiv.

Vorbeugung vor weit verbreiteten Krankheiten

Der Schwerpunkt der Arbeit des neuen Bundesinstitutes solle auf Krebs-, Demenz- und Herz/Kreislauf-Erkrankungen liegen. Diese drei großen Krankheitsgruppen machten 75 % der Todesfälle pro Jahr in Deutschland aus. Hier sollen Gesundheitsdaten erhoben werden, die als Entscheidungshilfen für Regierungshandeln dienen und aus denen Maßnahmen zur Vorbeugung abgeleitet werden.

Dabei legt Lauterbach besonderen Wert auf evidenzbasierte Arbeit und Kommunikation, die auf der Basis wissenschaftlicher Forschung und nachgewiesener Wirksamkeit erfolgt – nichts anderes heißt „evidenzbasiert“. In der heutigen Zeit gäbe es zu viele Faktoren, die eine positive Gesundheitskommunikation erschweren würden: Fake-News, kommerzielle Missinformation und eine Schwemme von Informationen, die oft nicht belastbar seien. Dem soll das neue Institut entgegenwirken.

Einige Bereiche werden hierzu aus dem Robert-Koch-Institut, wo sie bisher angesiedelt sind, herausgelöst. Das RKI soll sich noch stärker auf die Infektionskrankheiten konzentrieren, dort noch intensiver Monitoring, Forschung und Politikberatung betreiben sowie die bereits gut dort etablierte KI-Forschung fortführen.

Als neuer Bereich soll im BIPAM „Modellierung“ angesiedelt werden, also eine mathematisch-statistische Simulation von Krankheitsverläufen zur Optimierung des therapeutischen oder des epidemiologischen Handelns.

Die bisherige Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung soll vollständig in dem neuen Institut aufgehen und dies soll zu einer verbesserten Gesundheitskommunikation führen: „Das BIPAM professionalisiert und führt fort, aber ergänzt und modernisiert auch einige Aufgaben, die bisher von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) übernommen worden sind.“ sagt Lauterbach.

Der Start für das neue Institut soll am 1.1.2025 erfolgen. Bis dahin soll der bisherige Leiter des Kölner Gesundheitsamtes, Dr. Johannes Nießen, den Aufbau des BIPAMs vorantreiben und auch die BZgA als kommissarischer Leiter führen. Als Nachfolder von Prof. Dr. Lothar Wieler und damit als neuer Leiter des RKI wurde Prof. Dr. Lars Schaade auf der Pressekonferenz ebenfalls vorgestellt.

Kritik am geplanten BIPAM

Die Pläne des Gesundheitsministers stoßen nicht nur auf Zustimmung. In einer Stellungnahme des „Zukunftsforums Public Health“ wird die Gründung des BIPAMs als „verpasste Chance für Public Health in Deutschland“ bezeichnet, auch wegen eines überholten Verständnisses von Prävention und Gesundheitsförderung. Dieser Einschätzung lägen vor allem drei Designfehler des neuen Institutes zugrunde:

  • Gesundheitsförderung sei eine Querschnittsaufgabe über viele Politikfelder, in denen sich die Lebenswirklichkeit der Menschen abspiele. „Health in all Policies“ heiße der international anerkannte Ansatz, der verfolgt werden müsse und dem die Verengung auf den Begriff „Medizin“ –bereits im Namen des neuen Institutes definitorisch enthalten– nicht gerecht werde.
  • Auch die Fokussierung auf die Prävention dreier Krankheitsgruppen wäre Ausdruck eines verengten Gesundheitsbegriffes, der Gesundheitsförderung nicht als mehrdimensionales Konzept begreife, das früh in Kindheit und Jugend beginne und sowohl sozioökonomische Faktoren als auch übergreifende Faktoren berücksichtige, zum Beispiel die Bedeutung des Klimaschutzes für die Gesundheit der Menschen.
  • Als dritter Punkt wird in der Stellungnahme die fachlich nicht sinnvolle Trennung bei der Zuständigkeit zwischen RKI und BIPAM genannt: einerseits die übertragbaren Krankheiten (RKI) und andererseits die nicht-übertragbaren Krankheiten (BIPAM).

Lauterbach gibt den Startschuss für die Gründung eines neuen Bundesinstitutes, verbunden mit auf den ersten Blick keineswegs unplausibel klingenden Absichtserklärungen. Die Konzentration auf drei große Erkrankungsgruppen mit Erhebung von Gesundheitsdaten, Forschung und Bürger:innenkommunikation ist zwar kein Ansatz, der alle Lebensbereiche und Politikfelder einschließt, aber durch seinen Fokus realisierbare Ergebnisse produzieren könnte.

Allerdings stellt sich die Frage, ob es dazu ein neues Bundesinstitut gebraucht hätte. Zwei Institute bedeuten auch zwei Bereiche, die diese Institute verwalten. Während in der Wirtschaft darauf geachtet wird, durch Zusammenschlüsse Synergien zu erzeugen, wird hier der umgekehrte Weg gegangen, indem aus dem RKI zwei administrative Strukturen geschaffen und Arbeitsfelder getrennt werden. Ob dies mit der Qualität der Leistung der beiden Institute RKI und BIPAM gerechtfertigt werden kann, muss die Zukunft zeigen.

Zu guter Letzt geht mit der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung eine Bundesbehörde verloren, die sich weitaus breiter als das zu etablierende BIPAM um gesundheitliche Belange der Bevölkerung kümmerte. Suchtprävention, Sexualaufklärung, gesunde Ernährung und vieles mehr waren wichtige Themen, die dort angesiedelt waren. Für zahlreiche Themenfelder wurden von der BZgA hilfreiche und industrieneutrale Materialien zur Verfügung gestellt. Ob das neue Bundesinstitut abseits der richtigen und wichtigen Themen, die dort behandelt werden sollen, auch Ratschläge für die richtige Hygiene oder Tipps für Menschen mit Essstörungen und deren Angehörige anbieten wird, bleibt abzuwarten.

Quellen:

Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach (4.10.2023) „Neuordnung von BZgA und RKI – wie Gesundheitsforschung und -prävention gefördert werden sollen.“, Bundespressekonferenz, Berlin

Stellungnahme des Zukunftforums Public Health (ZfPH) gemeinsam mit BVPG, DEGAM, DGAUM, DGMS, DGÖGB, DGPH, DGSMP, DGSPJ, DNVF, GesBB, GSN, LVG & AFS Nds HB, LVG Sachsen-Anhalt, GHUP, KLUG, NÖG, vdää, https://zukunftsforum-public-health.de/bundesinstitut-fuer-praevention-und-aufklaerung-in-der-medizin-verpasste-chance-fuer-public-health-in-deutschland/ abgerufen am 17.11.2023

Bildquelle: © IMAGO / Bernd Elmenthaler