Beispielbild für entzündlich-rheumatische Erkrankungen bzw. Rheuma

Rheuma und Geschlecht

Frauen häufiger von Rheuma betroffen

Frauen sind häufiger betroffen, erhalten die Diagnose „Rheuma“ jedoch deutlich später als Männer, wie eine neue Untersuchung festgestellt hat. Warum das so ist und welche Konsequenzen das für eine geschlechtsspezifische Diagnose und Therapie bei rheumatischen Erkrankungen haben könnte, diskutierten Expert*innen im Vorfeld des Deutschen Rheumatologiekongresses in Leipzig.

23.08.2023

Etwa 1,5 Millionen Erwachsene, also rund 2 Prozent der Bevölkerung, leiden unter entzündlich-rheumatischen Erkrankungen. Hinzu kommen etwa 20.000 rheumakranke Kinder. Diese Zahlen sind schon vor einiger Zeit in Deutschland erhoben worden, zeigen aber dennoch die Verbreitung der Erkrankung. Andere Länder, wie zum Beispiel England, haben aufgrund der dort schon fortgeschrittenen Digitalisierung eine deutlich bessere Datenbasis. Hier wird von 2,2 bis 3 % der Bevölkerung ausgegangen, die unter entzündlichen-rheumatischen Erkrankungen leiden. Es ist also anzunehmen, dass die Zahlen für Deutschland tatsächlich deutlich höher sind als in den älteren Erhebungen dargestellt.

Die Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie informiert bereits im Vorfeld des Rheumatologiekongresses, der vom 30.8. bis zum 2.9.2023 in Leipzig stattfinden wird, über wichtige Aspekte dieser verbreiteten Erkrankung, die sich in vielen verschiedenen Ausprägungen zeigt. Auf der Vorabpressekonferenz am 23.8.2023 wurde von Privatdozentin Dr. med. Uta Kiltz, Oberärztin am Rheumazentrum Ruhrgebiet, eine neue Überblicksstudie mit dem Titel „Geschlechtsspezifische Unterschiede in Diagnostik und Therapie entzündlich-rheumatischer Erkrankungen“ vorgestellt. Erstaunliche Erkenntnis: Obwohl Frauen sich gesünder ernähren, öfter zur Ärztin oder zum Arzt gehen und häufiger Vorsorgeangebote in Anspruch nehmen als Männer, erhalten Sie die Diagnose über eine rheumatische Erkrankung deutlich später. In manchen Fällen erfolgt die Diagnose „Rheuma“ bei Frauen sogar ein Jahr später als bei männlichen Patienten.

Mehr Frauen als Männer von Rheuma betroffen

Bei der Mehrzahl der rheumatischen Erkrankungen ist der Anteil an betroffenen Frauen größer als der der Männer. Nur wenige entzündlich-rheumatische Erkrankungen, wie beispielsweise Morbus Behçet, betreffen häufiger Männer. „Umso verwunderlicher erscheint es, dass Frauen im Durchschnitt deutlich später eine Diagnose erhalten“, sagt Dr. Kiltz. Eine mögliche Ursache dafür sieht sie darin, dass der Krankheitsverlauf bei Männern in der Regel schwerer ist. Deshalb zeigten sich Schäden an Organen früher und gäben eher Hinweise auf eine rheumatische Erkrankung. Auch bildeten sich bei manchen rheumatischen Erkrankungen bei Männern bestimmte hinweisende Marker und Antikörper im Blut früher. „Hinzu kommt, dass Frauen ein vielfältigeres Bild an Symptomen zeigen, was eine eindeutige Diagnose zusätzlich erschweren kann“, erläutert Dr. Kiltz.

Es gibt noch einen weiteren interessanten geschlechtsspezifischen Faktor auf der Arztseite: Eine kanadische Analyse offenbarte, dass männliche Hausärzte unabhängig vom Geschlecht der Patient*innen später eine rheumatologische Überweisung veranlassten als ihre Kolleginnen. Folglich kann auch das Geschlecht der behandelnden Ärzt*innen zu Unterschieden in der Versorgung beitragen.

Doch auch unabhängig vom Geschlecht zeigen sich erhebliche Defizite in der zeitnahen Versorgung der Patient*innen. Von der Anmeldung bei einer spezialisierten rheumatologischen Praxis oder Ambulanz bis zum Termin können 3-9 Monate vergehen, so Professor Dr. med. Christoph Baerwald, Kongresspräsident der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie und emeritierter Leiter der Abteilung Rheumatologie am Universitätsklinikum Leipzig. Einschränkend fügt er hinzu, für Notfälle gäbe es auch schnellere Möglichkeiten. Hier kommt den Hausärzt*innen eine besondere Rolle zu, um die Dringlichkeit einer Diagnose durch spezialisierte Rheumatolog*innen zu erkennen und sich dann für eine schnellere Terminvergabe einzusetzen.

Um mit der Erkrankung auch gut leben zu können, sei es wichtig, dass Patientinnen offen darüber kommunizieren könnten, in der Familie, aber auch mit dem Arbeitgeber, stellt Dr. Kiltz fest. Das erfordere jedoch eine Gesundheitskompetenz, ergänzt Rotraut Schmale-Grede, Präsidentin der Deutschen Rheuma-Liga in Bonn. Nach dem Motto „Nimm dein Leben selbst in die Hand“ sei es sehr wichtig, der Gesundheitskompetenz eine größere Aufmerksamkeit zukommen zu lassen und den Betroffenen entsprechendes Wissen zu vermitteln.

Ob sich die Wirksamkeit von Medikamenten zwischen den Geschlechtern unterscheide, sei umstritten. Erwiesen sei, dass sogenannte „immunsuppressive Therapien“ bei Frauen weniger dauerhaft wirkten und Frauen im Vergleich zu Männern deutlich seltener das Therapieziel einer niedrigen Krankheitsaktivität erreichten. Eine Ursache dafür könnte sein, dass Frauen in der Selbstauskunft die Krankheitsaktivität höher einschätzen als Männer. Zudem könnte Rheuma soziale und psychologische Folgen haben, die sich bei Männern und Frauen unterschiedlich auswirkten. Dies hänge auch mit Unterschieden in den gesellschaftlichen Erwartungen und Rollenbildern zusammen. „Hier stehen wir ganz am Anfang: Es besteht noch ein erheblicher Forschungsbedarf, um die Kontextfaktoren so weit zu verstehen, dass eine personalisierte Medizin möglich ist“, erklärt Dr. Kiltz.

„Die Ergebnisse zeigen, dass die Rheumatologie hier Nachholbedarf hat. Wir müssen die geschlechtsspezifischen Krankheitsausprägungen besser verstehen und diese Erkenntnisse in die Diagnostik und Therapie einfließen lassen“, formuliert der Kongresspräsident Professor Dr. med. Christoph Baerwald das Fazit zu diesem Thema.

Quellen:
Vorabpressekonferenz (online) anlässlich des Deutschen Rheumatologiekongresses 2023

Katinka Albrecht, Anja Strangfeld: Geschlechtsspezifische Unterschiede in Diagnostik und Therapie entzündlich-rheumatischer Erkrankungen. In: Die Innere Medizin, Volume 64, Pages744–751 (2023)

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