Geliebt und verteufelt: Sechzig Jahre Pille

Als am 18. August 1960 die Pille als Mittel zur Empfängnisverhütung auf den amerikanischen Markt kommt, ahnen nur wenige, welche gesellschaftliche Bedeutung sie in kürzester Zeit erlangen wird: Zum ersten Mal können Frauen eine ungewollte Schwangerschaft verhindern – mit einer kleinen Hormontablette. Heute ist die Antibabypille, wie sie ursprünglich genannt wurde, 60 Jahre alt – zuverlässig in der Verhütung, moralisch akzeptiert, aber dennoch für viele Frauen nicht mehr zeitgemäß.

Die Idee zur hormonellen Empfängnisverhütung stammt aus den frühen 20er Jahren des letzten Jahrhunderts, entwickelt von zwei Frauenrechtlerinnen: der Krankenschwester Margaret Sanger, Gründerin der „American Birth Control League“ (Amerikanische Liga für Geburtenkontrolle), und der reichen Biologin Katharine McCormick. Doch leider sehen die beiden visionären Frauen keine Möglichkeit, entsprechende Forschungen zu starten.

Dies ändert sich erst dreißig Jahre später, als Sanger den Endokrinologen Gregory Pincus auf einer Dinner-Party kennenlernt und für ihr ehrgeiziges Projekt gewinnen kann. Finanziert durch McCormick, beginnt Pincus, gemeinsam mit seinem Kollegen John Rock und den Chemikern Carl Djerassi und Franc Colton, mit den Forschungsarbeiten.

Zahlreiche Substanzen werden erprobt, bis endlich die richtige Hormonverbindung gefunden wird: Östrogen und Gestagen. Die Hormone simulieren eine Schwangerschaft und verhindern so Eireifung und Eisprung.

Klinische Tests in Puerto Rico und Haiti bestätigen die Wirksamkeit der Hormontabletten, so dass dem Präparat 1957 unter dem Namen Enovid die Zulassung in den USA erteilt wird – zunächst als Mittel gegen Menstruationsbeschwerden.

Am 18. August 1960 wird Enovid schließlich auch zur Empfängnisverhütung auf dem amerikanischen Markt zugelassen.

Am Anfang nur für verheiratete Frauen …

In Deutschland ist die Pille unter dem Namen Anovlar ab 1961 erhältlich. Hier wird sie allerdings zunächst nur verheirateten Frauen mit mehreren Kindern verschrieben.

Die Kirchen lehnen Geburtenkontrolle aus moralischen Gründen vehement ab. Papst Paul VI., Oberhaupt der katholischen Kirche, schreibt 1968 in der Enzyklika „Humanae vitae“: „Man sollte vor allem bedenken, wie bei solcher Handlungsweise sich ein breiter und leichter Weg einerseits zur ehelichen Untreue, anderseits zur allgemeinen Aufweichung der sittlichen Zucht auftun könnte.“

Und die Frauen? Sie lieben die Pille. 1970 wird sie bereits von jeder fünften Frau zwischen 15 und 44 Jahren zur Verhütung eingesetzt.

Die sogenannte 68er-Bewegung bringt auch die sexuelle Revolution hervor. Nicht zuletzt dank der Pille entdecken die Frauen sich selbst neu, gehen offener mit ihrer Sexualität um. Selbstbewusst kämpfen sie darum, frei über sich selbst und ihren Körper verfügen und Sexualität losgelöst vom Kinderkriegen erleben und genießen zu können.

Dies hat vielfältige Auswirkungen auf ihre Rolle in der Gesellschaft: Familienplanung wird jetzt möglich, Ausbildung und Beruf bekommen einen neuen Stellenwert im Leben der Frau. So steigt die Zahl der Abiturientinnen und Akademikerinnen in den 1960er Jahren deutlich an.

Pille heute

Über 200 Millionen Frauen – so schätzt man – haben bis heute mit der Pille verhütet. In Deutschland benennen laut einer repräsentativen Untersuchung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) 47 Prozent der erwachsenen, sexuell aktiven Frauen und Männer die Pille als Verhütungsmethode.

Mehr als 50 verschiedene Präparate sind hier aktuell auf dem Markt. Die Pille gilt als zuverlässig – doch rücken seit einiger Zeit verstärkt die Nebenwirkungen in den Fokus, wie z. B. Gewichtszunahme, Thrombosen und Embolien, Depressionen. Frauen erwarten heute mehr Informationen und Aufklärung. Sie wollen nicht mehr täglich Hormone schlucken, ohne zu wissen, was dies mit ihrem Körper macht.

Besonders bei den 18- bis 29-jährigen Frauen geht die Verhütung mit der Pille zurück: Hier ist der Anteil der Pillennutzenden innerhalb der vergangenen sieben Jahre um 16 Prozentpunkte gesunken (von 72 auf 56 Prozent), berichtet die BZgA.

Und auch ein weiterer Faktor hat zu einer gewissen „Pillenmüdigkeit“ geführt: Zwar hat die Frau durch die Pille an Freiheiten gewonnen – der Mann aber auch. Viele Männer sehen die Frau heute als Hauptverantwortliche in Sachen Verhütung an. Darauf haben Frauen aber häufig keine Lust mehr. Sie würden gerne die Verantwortung mit ihrem Partner teilen. Doch trotz jahrzehntelanger Forschung ist ein Produkt für Männer, das mit der Pille vergleichbar wäre, nicht in Sicht.

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