
Diabetes in Deutschland
Unterschätzte Epidemie mit dramatischen Folgen
Die Zahl der Diabeteserkrankungen steigt rasant. In Deutschland leben aktuell rund neun Millionen Menschen mit Diabetes. Das stellt das Gesundheitssystem und das Fachpersonal vor große Herausforderungen.
Bis zum Jahr 2040 soll die Zahl der Diabetikerinnen und Diabetiker auf bis zu zwölf Millionen ansteigen. Diabetes ist damit eine stille Epidemie, die das Gesundheitssystem vor massive Herausforderungen stellt. Bereits jetzt hat mindestens jeder fünfte stationäre Patient Diabetes, wie Professor Dr. Andreas Fritsche, Präsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), betont. Doch die Zahl der Fachkräfte, die diese Patienten angemessen versorgen können, reicht bei Weitem nicht aus.
Die Krankenhausreform birgt Risiken für die Diabetesversorgung
Die aktuelle Krankenhausreform sieht vor, dass medizinische Leistungen in sogenannte „Leistungsgruppen“ eingeteilt werden. Das Modell funktioniert gut für klar definierbare Behandlungen wie Operationen oder Katheter-Eingriffe. Hier lassen sich Spezialkliniken mit entsprechenden Schwerpunkten etablieren – durchaus auch kommerziell erfolgreich. Doch in der Diabetologie ist eine solche Einteilung problematisch, da die Betreuung von Diabetespatienten viele verschiedene medizinische Bereiche umfasst und stark individualisiert sein muss.
Ohne eine passende Definition der diabetologischen Versorgung könnten spezialisierte Zentren aus der Krankenhauslandschaft verschwinden, warnt Fritsche. Krankenhäuser dürften sich dann auf lukrativere und leichter zertifizierbare Behandlungen konzentrieren. Bereits in der Vergangenheit hätten gesetzliche Vorgaben dazu geführt, dass vor allem gewinnbringende Eingriffe bevorzugt wurden, während weniger rentable, aber dringend notwendige Behandlungen vernachlässigt wurden. Fritsche spricht in diesem Zusammenhang von einer „kommerzialisierten Reparaturmedizin“, die durch die gesetzlichen Vorgaben gefördert werde.
Die prognostizierte Folge: Menschen mit Diabetes würden künftig auf deutlich weniger spezialisierte Behandlungszentren zugreifen können, was ihre Versorgung deutlich verschlechtern würde. Besonders besorgniserregend ist, dass diese Zentren auch für die Ausbildung des dringend benötigten Fachpersonals zuständig sind. Wenn sie schließen, sinkt die Zahl der diabetologischen Spezialisten weiter – ein Teufelskreis, der fatale Folgen haben könnte.
Ohne Fachpersonal keine adäquate Versorgung
Die Behandlung von Diabetes ist komplex und erfordert spezialisiertes Fachwissen. Hausärzte können die Versorgung allein nicht stemmen, erklärt Professorin Dr. Julia Szendrödi, Vizepräsidentin der DDG. Besonders gefährdet sind ältere Menschen, sozial Benachteiligte und Patienten mit schweren Folgeerkrankungen wie Herz-Kreislauf-Problemen, Nierenschäden oder Nervenschäden. Sie brauchen eine umfassende Betreuung, die weit über die reine Blutzuckerkontrolle hinausgeht.
Doch in Deutschland gibt es ein starkes Ungleichgewicht in der Versorgung. Während Menschen in städtischen Gebieten relativ gut betreut werden, fehlt es in ländlichen Regionen an diabetologischem Fachpersonal. Diese Ungleichheit zeigt sich dramatisch an den Zahlen diabetesbedingter Amputationen: Zwar sind die Amputationsraten in den letzten Jahren leicht gesunken, doch in strukturschwachen Regionen liegen sie weiterhin deutlich höher als in gut versorgten städtischen Gebieten.
Dabei wären viele dieser Amputationen vermeidbar. Eine frühzeitige podologische Behandlung und gezielte Gefäßtherapien könnten zum Beispiel dazu beitragen, schwerwiegende Komplikationen zu verhindern. Doch ohne ausreichend Fachpersonal bleibt dieser Zugang für viele Patienten verwehrt.
Ungleichheiten in der medikamentösen Behandlung
Auch in der medikamentösen Therapie gibt es erhebliche Unterschiede zwischen Stadt und Land. Während in städtischen Regionen moderne Medikamente wie GLP-1-Analoga häufiger verschrieben werden, bleibt in ländlichen Gebieten oft die traditionelle Insulintherapie dominierend. Dies deutet darauf hin, dass in strukturschwachen Regionen die aktuellen medizinischen Leitlinien nicht konsequent umgesetzt werden.
Noch problematischer ist die Situation für Menschen mit Typ-1-Diabetes. Ihre Versorgung entspricht in vielen ländlichen Gebieten nicht den aktuellen Empfehlungen, was dramatische gesundheitliche Folgen haben kann. Ein Beispiel: Die Sterblichkeitsrate nach einem Herzinfarkt ist bei Typ-1-Diabetikern höher als in der Allgemeinbevölkerung. Besonders Frauen mit Diabetes sind stark betroffen, da ihr kardiovaskuläres Risiko oft unterschätzt wird. Dies liegt unter anderem an einer späteren Diagnosestellung und verzögerten Behandlungsmaßnahmen.
Braucht Deutschland eine Nationale Diabetesstrategie 2.0?
Angesichts dieser alarmierenden Entwicklungen stelle sich die Frage: Wird die Politik endlich handeln? Barbara Bitzer, Geschäftsführerin der DDG, fordert eine Neuauflage der Nationalen Diabetesstrategie. Prävention, frühe Diagnosen und eine verbesserte Versorgung müssten im Fokus stehen.
Die Weichen dafür müssten jetzt gestellt werden. Denn ohne eine umfassende Strategie zur Bekämpfung der Diabetes-Epidemie drohe Deutschland eine Versorgungskrise, die Millionen von Menschen betreffen wird
Quelle:
Jahrespressekonferenz der Deutschen Diabetes Gesellschaft, 20.02.2025, Haus der Bundespressekonferenz, Berlin
Bildquelle: © Pixel-Shot – Stock.adobe.com
Stand: 26.02.2025