ADHS – Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung

ADHS zählt zu den häufigsten psychiatrischen Störungen im Kindes- und Jugendalter. Schätzungen zufolge sind ca. fünf Prozent der Kinder und Jugendlichen betroffen – Jungen häufiger als Mädchen. Die ersten Verhaltensauffälligkeiten treten früh auf, gewöhnlich in den ersten fünf Lebensjahren. Sie können sich bis ins Erwachsenenalter hinein fortsetzen. Der Leidensdruck, der mit ADHS einhergeht, ist groß und betrifft nicht nur die Patienten selbst, sondern ihr gesamtes Umfeld.

Was ist ADHS?
Über kaum eine andere Erkrankung ist in den letzten Jahren öffentlich so viel und so kontrovers diskutiert worden wie über ADHS. Als „Modekrankheit“ wurde sie oft bezeichnet, Verhaltensauffälligkeiten wurden als Erziehungsfehler der Eltern abgetan. Doch Studien zeigen, dass ADHS durch Veränderungen der Funktionsweise des Gehirns entsteht. Diese Veränderungen sind überaus komplex und führen im Zusammenspiel mit psychosozialen Faktoren zu hyperkinetischem Verhalten, also zu deutlich vermehrter Bewegungsaktivität.

Wer ist betroffen?
Mediziner schätzen, dass die Anzahl der ADHS-Patienten in der Altersgruppe von 6-18 Jahren in Deutschland bei ungefähr fünf Prozent liegt. Jungen sind 3- bis 6-mal häufiger betroffen als Mädchen. Die Dunkelziffer dürfte bei den Mädchen allerdings deutlich höher sein, denn bei ihnen sind oft keine Anzeichen eines übersteigerten Bewegungsdrangs (Hyperaktivität) zu erkennen, und deshalb wird eine ADHS nicht erkannt.

Auch Erwachsene können an ADHS leiden. Während man lange von einer Kinderkrankheit ausging, die sich „auswächst“, weiß man heute, dass die Störung bis ins Erwachsenenalter fortbestehen kann. So zeigen 60 Prozent der betroffenen Kinder auch als Erwachsene ADHS-Symptome, die sich allerdings in Erscheinungsbild und Schwere immer wieder verändern können. Die Häufigkeit von ADHS bei Erwachsenen wird auf drei bis vier Prozent geschätzt.

Wie äußert sich eine ADHS?
ADHS ist durch drei Kernsymptome gekennzeichnet:

  • Hyperaktivität
    Hyperaktive Kinder fallen schon früh durch motorische Unruhe auf. Sie können nur schwer längere Zeit stillsitzen und sind meist in hektischer Bewegung. Das verleitet sie oft zu besonders waghalsigen Aktionen, die nicht selten zu Unfällen führen. Ebenso ungebremst wie ihr Bewegungsdrang ist auch ihr Sprachfluss.
  • Unaufmerksamkeit
    ADHS-Patienten können sich meist nur für kurze Zeit auf eine Aufgabe oder ein Spiel konzentrieren. Sie lassen sich leicht von äußeren Reizen ablenken, sind vergesslich und machen viele Flüchtigkeitsfehler. Es fällt ihnen schwer, Ordnung zu halten und strukturiert zu denken und zu handeln.
  • Impulsivität
    Impulsive Kinder und Jugendliche haben Schwierigkeiten zu warten, bis sie an die Reihe kommen. Oft platzen sie mit ihren Antworten einfach heraus und unterbrechen dabei andere. Kommt ihnen etwas Neues in den Sinn, ändern sie ihr Verhalten sprunghaft. Regeln und Vorschriften können sie nur schwer einhalten.

Nicht alle der beschriebenen Symptome müssen gleichzeitig und in gleicher Ausprägung auftreten. So können Symptome in bestimmten Lebensphasen stärker oder schwächer werden, z. B. wenn das Kind in die Schule kommt oder in der Pubertät.

So lässt sich z. B. häufig – wie bereits erwähnt – ein unaufmerksames und impulsives Verhalten ohne Hyperaktivität beobachten. In diesem Fall spricht man auch von ADS (Aufmerksamkeitsdefizitstörung). Diese „verträumte“ Variante der ADHS tritt häufiger bei Mädchen als bei Jungen auf. Oft wird sie erst sehr spät erkannt, weil ihre Symptome nicht so auffällig sind wie bei ADHS mit Hyperaktivität.

Wie entsteht ADHS?
Bei der Erforschung der Ursachen sind immer noch Fragen offen. Doch ist belegt, dass einer ADHS eine biologisch bedingte Funktionsstörung im Gehirn zugrunde liegt: Durch ein chemisches Ungleichgewicht wichtiger Botenstoffe – der sogenannten Neurotransmitter – werden Umweltreize, die im Gehirn ankommen, nicht richtig verarbeitet.

Während gesunde Menschen neue Informationen problemlos als „wichtig“ oder „weniger wichtig“ einordnen können und ihre Aufmerksamkeit dementsprechend steuern, fehlt dem betroffenen Kind dieser Filter. Es ist daher einer permanenten Reizüberflutung ausgesetzt: Ständig strömen neue Informationen und Bilder auf das Kind ein, die es alle mit der gleichen Intensität aufnimmt. Äußerlich wahrnehmbare Folgen dieser Funktionsstörung sind die oben beschriebenen Symptome der ADHS: Unaufmerksamkeit, Sprunghaftigkeit, unstrukturiertes Denken und Handeln.

Auch erbliche Faktoren sind für die Entwicklung von ADHS bedeutsam, wie wissenschaftliche Untersuchungen zeigen. Psychosoziale Risikofaktoren sind ebenfalls relevant: Zwar sind sie nicht ursächlich verantwortlich für die Entstehung, aber sie beeinflussen die Entwicklung und den Verlauf von ADHS und können die Symptome verstärken.

Zu den psychosozialen Risikofaktoren zählen z. B.:

  • familiäre Probleme
  • Psychische Erkrankung eines Elternteils
  • mangelnde Zuwendung der Eltern
  • wechselnde Bezugspersonen
  • fehlende Regeln, schlecht strukturierte Tagesabläufe

Wie wird eine ADHS festgestellt?
ADHS ist eine komplexe Erkrankung. Deshalb sollte die Diagnose nur von einem erfahrenen Spezialisten gestellt werden. Das kann z. B. ein Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie oder ein Kinderarzt sein, der sich auf die Behandlung von ADHS spezialisiert hat.

Bei der Diagnose orientiert man sich an weltweit anerkannten Regeln, nach denen die Störung definiert wird. So spricht man von einer ADHS, wenn die beschriebenen Verhaltensauffälligkeiten über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten andauern und bereits im Vorschulalter auftreten. Charakteristisch ist auch, dass das Verhalten nicht dem altersgemäßen Entwicklungsstand entspricht und die Symptome in verschiedenen Lebensbereichen wie Schule, Familie und Freizeit gleichzeitig beobachtet werden.

Eine sorgfältige Diagnose muss deshalb auch immer das Umfeld des Kindes mit einbeziehen – z. B. Erzieher oder Lehrer, die schildern können, wie sich das Kind außerhalb der häuslichen Umgebung verhält.

Warum muss eine ADHS behandelt werden?
ADHS wächst sich nicht einfach aus. Zwar schwächen sich die Verhaltensauffälligkeiten mit Beginn der Pubertät in vielen Fällen ab, doch leiden die Patienten oft ihr Leben lang unter den Folgen, wenn die Krankheit unbehandelt bleibt.

Trotz normaler Begabung ist eine Verschlechterung der schulischen Leistungen bei vielen Kindern mit ADHS vorprogrammiert. Aufgrund ihrer Unaufmerksamkeit und inneren Unruhe können sie dem Lernpensum nicht folgen und machen viele Fehler. Sie fallen durch häufige Unterrichtsstörungen auf und werden oft zu Außenseitern im Klassenverband. Die Folge sind Schulverweise oder vorzeitige Schulabgänge ohne Abschluss – ein großes Handicap auf dem Arbeitsmarkt!

Neben den schulischen Problemen haben viele ADHS-Patienten auch mit der Ablehnung durch ihr Umfeld zu kämpfen. Stabile Freundschaften entstehen nur schwer. Viele Kinder enden schließlich in der sozialen Isolation und laufen Gefahr, „in falsche Kreise“ zu geraten.

Durch die ständigen Enttäuschungen und Zurückweisungen entwickeln ADHS-Patienten zudem nur ein geringes Selbstwertgefühl. Viele neigen zu Depressionen – das Risiko, sich in Alkohol- oder Drogensucht zu flüchten, ist groß.

Nicht unterschätzt werden sollte auch der Leidensdruck der betroffenen Familien. Viele Eltern kämpfen mit Stresssymptomen, Schuldgefühlen und Versagensängsten. Und auch die Geschwister der kleinen ADHS-Patienten gehören zu den Leidtragenden: Nicht nur, dass sie oft genug unter dem Verhalten des Bruders oder der Schwester leiden – durch die gesteigerte Aufmerksamkeit, die das Geschwisterkind in Anspruch nimmt, fühlen sie sich häufig von den Eltern vernachlässigt.

Wie wird ADHS behandelt?
Ist eine ADHS diagnostiziert, sollte möglichst schnell eine geeignete Behandlungsstrategie erarbeitet werden. Sie sollte idealerweise das gesamte Umfeld mit einbeziehen: die Eltern, die Lehrer und Erzieher des Kindes.

Die Behandlung setzt sich immer aus verschiedenen „Bausteinen“ zusammen. Dieses sogenannte multimodale Therapiekonzept umfasst:

  • Beratung und Aufklärung der Eltern
  • psychotherapeutische Maßnahmen, z. B. eine Verhaltenstherapie
  • eine medikamentöse Behandlung

Welche Therapiemaßnahmen im Einzelnen zum Einsatz kommen, hängt vom individuellen Befund ab: dem Erscheinungsbild, dem Schweregrad der Erkrankung, der Art der Begleitstörungen und dem Ausmaß der Beeinträchtigung. Der Arzt oder Psychologe wird einen geeigneten Therapieplan für das Kind entwickeln.

Beratung und Aufklärung der Eltern
Grundlage der Therapie ist die gründliche Information der Familie. Dazu zählt auch die altersentsprechende Aufklärung des Kindes oder Jugendlichen. Denn Aufklärung schenkt Sicherheit – und die braucht der ADHS-Patient ganz besonders.

Auch die Eltern benötigen Unterstützung im Umgang mit der ADHS-Erkrankung ihres Kindes. Im Rahmen der Aufklärung werden ihnen auch Erziehungskonzepte vorgestellt, die Hilfestellung im Umgang mit dem Kind geben können.

Psychotherapie: Anleitung zur besseren Verhaltenssteuerung
Die Psychotherapie umfasst unterschiedliche Verfahren, die sich entweder auf das Kind allein beziehen oder aber das Umfeld (Elternhaus, Kindergarten, Schule) mit einbeziehen. Häufig kommt eine Verhaltenstherapie zum Einsatz: Hier werden zunächst bestehende Verhaltensmuster analysiert, damit das Kind lernt, sich selbst besser wahrzunehmen. Anschließend werden geeignete Strategien vermittelt, mit denen das Verhalten künftig besser kontrolliert und gesteuert werden kann. Ist das Sozialverhalten des Kindes stark beeinträchtigt, kann die Verhaltenstherapie auch in der Gruppe durchgeführt werden.

Die medikamentöse Therapie
Nicht immer werden Medikamente eingesetzt. Oft schafft jedoch nur eine medikamentöse Behandlung die Grundlage, um weitere Therapiemaßnahmen erfolgreich durchführen zu können.

Verständlicherweise haben viele Eltern Vorbehalte gegenüber dem Einsatz von Medikamenten. Für zusätzliche Verunsicherung sorgt hier auch die öffentliche Diskussion: Kinder würden einfach „ruhig gestellt“ oder man führe sie direkt in die Abhängigkeit, lauten z. B. einige der Vorwürfe.

Hier sollten sich betroffene Eltern umfassend von ihrem Arzt beraten lassen und alle Sorgen und Ängste offen aussprechen. Vor- und Nachteile einer medikamentösen Behandlung müssen sorgfältig gemeinsam. Ziel der Therapie ist es auch, die Lebensqualität des Kindes zu verbessern und ihm eine „normale“ Entwicklung zu ermöglichen.

Dem Arzt stehen hier verschiedene Medikamente mit unterschiedlichem Wirkprofil zur Verfügung. Je nach individueller Erkrankung wird er das geeignete Mittel auswählen.

Wie können Sie Ihrem Kind helfen?
Um Ihnen den Umgang mit Ihrem Kind und den familiären Alltag zu erleichtern, haben wir hier einige grundlegende Tipps für Sie zusammengestellt:

  • Legen Sie Strukturen fest
    Kinder, die an ADHS leiden, brauchen klar definierte Regeln und zeitliche Abläufe, die ihrem Alltag eine feste Struktur geben. Legen Sie z. B. bestimmte Zeiten fest, in denen die Hausaufgaben gemacht werden, und sorgen Sie dafür, dass Ihr Kind während dieser Zeiten nicht abgelenkt wird (gleichbleibende Umgebung, kein Spielzeug in der Nähe etc.)
  • Verstärken Sie positives Verhalten
    Versuchen Sie, Ihr Kind für positives Verhalten möglichst oft und sofort zu loben und zu belohnen. Das ist wesentlich wirkungsvoller als andauerndes Schimpfen und Bestrafen. Als hilfreich hat sich z. B. ein „Belohnungsplan“ erwiesen, der für alle Familienmitglieder deutlich sichtbar aufgehängt wird und der dem Kind Anreiz bietet, bestimmte Ziele (z. B. Zimmer aufräumen, Hausaufgaben erledigen) zu erreichen.
  • Gewähren Sie Freiräume
    Versuchen Sie nicht, Ihr Kind zur absoluten Ruhe zu zwingen. Hyperaktive Kinder haben einen unbändigen Bewegungsdrang, dem Sie genügend Raum verschaffen sollten – z. B. durch gezielte sportliche Aktivitäten. Legen Sie auch während der Hausaufgabenzeiten immer wieder kleine „Ruhepausen“ ein, in denen sich Ihr Kind kurz austoben kann.
  • Schenken Sie Ihrem Kind Liebe
    Und das Allerwichtigste: Auch wenn Sie die Grenzen Ihrer Belastbarkeit erreicht haben – zeigen Sie Ihrem Kind Ihre Zuneigung und geben Sie ihm das Gefühl, dass Sie für Ihr Kind da sind und es unterstützen. Nur so kann es ein stabiles Selbstvertrauen entwickeln und lernen, auch mit Misserfolgen und Rückschlägen umzugehen.

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