Schwindel
Wenn die Welt sich dreht
Es dreht sich alles, die Umgebung schwankt hin und her, man fühlt sich hinauf- oder hinuntergezogen: So unterschiedlich Schwindel auch wahrgenommen wird – immer empfinden die Betroffenen den Verlust der sicheren Orientierung im Raum. Häufig wiederkehrender oder anhaltender Schwindel ist extrem belastend. Die Ursachen sind ebenso vielfältig wie das Erscheinungsbild und sollten immer vom Arzt abgeklärt werden.
Was ist Schwindel?
Schwindel (medizinische Bezeichnung: Vertigo) ist keine Erkrankung, sondern ein sogenanntes multisensorisches Symptom, das eine Störung in unserem Gleichgewichtssystem anzeigt. Die Betroffenen verlieren die sichere Orientierung im Raum, was sich durch Stand- und Gangunsicherheiten und Fallneigung äußert.
Die Empfindungen der Patienten sind dabei sehr unterschiedlich, was zur Einteilung in verschiedene Schwindelformen führt:
- Drehschwindel: Die Betroffenen haben den Eindruck, um sie herum drehe sich alles.
- Liftschwindel: Man glaubt, sich in einem Fahrstuhl zu befinden und werde nach unten oder oben gezogen.
- Schwankschwindel: Die Umgebung scheint sich hin- und herzubewegen.
Des Weiteren kommt der sogenannte Benommenheitsschwindel vor, bei dem sich die Betroffenen dauerhaft benommen und unsicher in der Bewegung fühlen.
Auch das Auftreten von Schwindel ist unterschiedlich: Ein Schwindelanfall kann plötzlich – als Attacke – auftreten, Sekunden bis Stunden andauern und wieder verschwinden, bis er nach einer Weile wieder beginnt. Er kann über Tage und Monate andauern (Dauerschwindel). Und er kann ständig spürbar sein (chronischer Schwindel).
Häufig wird Schwindel von weiteren Symptomen begleitet, z. B. von Übelkeit, Erbrechen, Herzrasen oder Schweißausbrüchen. Auch eine gestörte Funktion der Augenmuskulatur (Nystagmus) kann auftreten.
Wer ist betroffen?
Nach Kopfschmerz ist Schwindel das häufigste Leitsymptom, das Menschen zum Arzt führt: Ungefähr jeder 6. Patient beim Hausarzt berichtet von Schwindel. Im Alter nimmt die Häufigkeit von Schwindel deutlich zu, u. a. auch weil die Gleichgewichtsorgane einem natürlichen Verschleiß unterliegen.
Wie entsteht Schwindel?
Schwindel zeigt eine Störung in unserem Gleichgewichtssystem an: Dieses System umfasst ein hochkomplexes Zusammenspiel von drei verschiedenen Sinnessystemen, das es uns ermöglicht, die Balance zu halten, uns in alle Richtungen zu orientieren und uns sicher bewegen zu können:
Das vestibuläre System besteht aus den Gleichgewichtsorganen im rechten und linken Innenohr mit jeweils drei Bogengängen. Sie sind mit Lymphflüssigkeit gefüllt und mit Sinneshaaren ausgestattet, die wiederum alle mit einem Nerv verbunden sind. Mit jeder Kopfbewegung gerät die Flüssigkeit in Bewegung und reizt die Sinneshaare an den Innenwänden der Bogengänge. Die Reize werden zum Gleichgewichtszentrum im Gehirn weitergeleitet.
Hier treffen sie mit den Informationen von den beiden anderen Sinnessystem zusammen: Die Reize aus dem optischen System, also den Augen, geben an, wo wir uns befinden. Das dritte Sinnessystem ist das sogenannte propriozeptive System: Von unzähligen sensiblen Sensoren in Muskeln, Gelenken und der Haut werden Informationen über die Stellung sämtlicher Körperpartien ins Gehirn geschickt.
Das Gehirn vergleicht und verarbeitet alle Informationen der verschiedenen Sinnesorgane und koordiniert jede Bewegung.
Schwindelgefühle entstehen, wenn die Informationen in diesem komplexen System widersprüchlich sind. Gleiches geschieht, wenn die Informationen zwar korrekt eingehen, sie aber im Gehirn aufgrund einer Funktionsstörung nicht richtig weiterverarbeitet werden können.
Wodurch wird Schwindel verursacht?
Vielfältige Ursachen können einen Schwindel auslösen – auch ohne dass eine Krankheit zugrunde liegt. So kann schon eine schnelle Karussellfahrt das Gleichgewichtssystem stören. Manchen Menschen wird in der Höhe schwindlig, wieder anderen beim Reisen mit Bus oder Schiff.
Auch Schlafmangel oder körperliche Überanstrengung können zu Schwindel führen, ebenso eine schlecht eingestellte Brille. Aber auch hohes Fieber, Unterzuckerung, bestimmte Medikamente und Alkohol können Schwindel auslösen.
Schwindel ist aber auch Leitsymptom vieler Erkrankungen, z. B.
- Erkrankungen des Ohrs
- neurologische Erkrankungen, z. B. cerebrale Durchblutungsstörungen, Epilepsie, Multiple Sklerose oder Migräne
- internistische Erkrankungen, z. B. Diabetes, Bluthochdruck, Anämie
- orthopädische Erkrankungen, z. B. das HWS-Syndrom
psychische Leiden, wie z. Angsterkrankungen und Depressionen
Nach der Ursache werden Schwindelerkrankungen in vestibulären und nicht-vestibulären Schwindel unterschieden:
Vestibulärer Schwindel:
Peripher-vestibulärer Schwindel => eine Schädigung des Gleichgewichtsorgans im Bereich des Innenohres liegt vor.
Zentral-vestibulärer Schwindel => die Informationsverarbeitung der Gleichgewichtsorgane im Gehirn ist durch Erkrankungen von Hirnstamm, Kleinhirn oder Großhirn gestört.
Nicht-vestibulärer Schwindel:
Sowohl die Gleichgewichtsorgane als auch Nerven und Gehirn sind intakt.
Welche Schwindelerkrankungen kommen besonders häufig vor?
Die Liste der Erkrankungen, die mit Schwindel einhergehen, ist lang. Die einzelnen Krankheitsbilder gehen oft – aber nicht immer – mit einer typischen Schwindelform einher. Manche Krankheitsbilder weisen auch mehrere Schwindelformen auf, und die einzelnen Symptome können unterschiedlich auftreten. Besonders häufig kommt in der Praxis vor:
- Gutartiger Lagerungsschwindel (Drehschwindel durch Lageänderung des Kopfes)
Diese Diagnose wird bei Schwindel am häufigsten gestellt. Der gutartige Lagerungsschwindel kommt vor allem bei älteren Menschen häufig vor. Der Schwindelanfall tritt oft nach schnellen Bewegungen des Kopfes auf, z. B. beim nächtlichen Umdrehen im Bett oder beim Aufrichten am Morgen, und dauert jeweils nur einige Sekunden an. Ursache sind oftmals sogenannte Ohrsteinchen, die sich in den Bogengängen des Innenohrs ablagern und zu Irritationen führen. - Vestibuläre Migräne (anfallsartiger Drehschwindel)
Die Sonderform der Migräne äußert sich durch einen plötzlich auftretenden und in bestimmten Abständen immer wiederkehrenden Drehschwindelanfall, manchmal treten auch Schwankschwindel und Gleichgewichtsprobleme auf. Begleitsymptome können z. B. starke Kopfschmerzen, Sehstörungen, Lärm- und Lichtempfindlichkeit, Übelkeit und Erbrechen sein. - Morbus Menière (anfallsartiger Drehschwindel)
Mehrere Symptome treten hier gemeinsam auf: Neben Drehschwindelattacken leiden die Betroffenen unter Ohrgeräuschen (Tinnitus) und Schwerhörigkeit. Am häufigsten sind Menschen mittleren Alters betroffen. Als Auslöser gelten Flüssigkeitsansammlungen im Innenohr. Man vermutet, dass ein entzündlicher Prozess an der Entstehung beteiligt ist, allerdings ist die genaue Ursache noch nicht bekannt. - Neuritis vestibularis (anhaltender Drehschwindel)
Betroffene leiden unter Dauerdrehschwindel, der über mehrere Tage bis einige Wochen andauern kann, oft begleitet von Fallneigung, Übelkeit, Erbrechen, Nystagmus sowie Stand- und Gangunsicherheiten. Starke Angstgefühle kommen gelegentlich hinzu. Bei bestimmten Kopfbewegungen verstärken sich die Beschwerden oft. Ursache ist am häufigsten ein einseitiger Ausfall des Gleichgewichtsorgans durch eine Infektion oder eine akute Durchblutungsstörung, die zusätzlich auch den Gleichgewichtsnerv betrifft. - Phobischer Schwankschwindel
Dieser Schwindel zählt zur Gruppe der sogenannten somatoformen Schwindel. Hier liegen keine organischen Erkrankungen zugrunde, aber dennoch leiden die Betroffenen unter Drehschwindel, Schwankschwindel und Benommenheit. Nach dem Lagerungsschwindel ist der phobische Schwankschwindel die zweithäufigste Schwindelursache, bei jüngeren Menschen die häufigste. Er äußert sich auch durch Stand- und Gangunsicherheit und tritt in Situationen auf, die bei den Betroffenen Ängste / Phobien auslösen.
Wann sollten Sie einen Arzt aufsuchen?
Schwindel kann viele harmlose Ursachen haben. Dennoch sollten Sie bei neu auftretendem Schwindel, bei häufigen oder anhaltenden Schwindelanfällen unbedingt einen Arzt aufsuchen, damit die Ursache abgeklärt werden kann.
Am besten wenden Sie sich zunächst an Ihren Hausarzt. Er wird Sie zunächst ausführlich zu Ihren Beschwerden, Vor- und Grunderkrankungen sowie Ihrer Lebenssituation befragen. Wichtige Fragen sind z. B..
- Wie macht sich der Schwindel bemerkbar?
- Ist es ein kurzer Schwindelanfall oder ein Dauerschwindel?
- Klingt er ab und nimmt wieder zu oder bleibt er immer gleich?
- Sind Begleitsymptome vorhanden, wie z. B. Übelkeit, Kopfschmerzen, Hörprobleme, Fallneigung?
- In welcher Situation tritt der Schwindel auf?
Aus den Antworten kann der Arzt oft schon auf die Ursache schließen. Herz-Kreislauf-Untersuchungen und Funktionstests zur Überprüfung des Gleichgewichtes können weiteren Aufschluss über die Ursache des Schwindels geben.
Bei Bedarf wird er Sie an einen Facharzt überweisen. Hier kommen verschiedene Spezialisten infrage: der Neurologe, der Internist, der Hals-Nasen-Ohren-Arzt, der Psychotherapeut, der Orthopäde oder auch der Augenarzt. Sie alle können spezielle Untersuchungen durchführen, um die Schwindelursache zu finden. Auch sogenannte Schwindelambulanzen sind auf Diagnose und Therapie von Schwindelerkrankungen spezialisiert.
Wie wird Schwindel behandelt?
Behandelt wird immer die grundlegende Erkrankung. Ist der Schwindel beispielsweise auf einen zu hohen Blutdruck zurückzuführen, findet eine entsprechende Behandlung statt, um den Blutdruck zu senken. Liegt eine Entzündung vor, wird der Arzt eventuell ein Antibiotikum einsetzen.
Wenn eine ursächliche Behandlung nicht möglich ist, kommt eine rein symptomatische Therapie zum Einsatz: mit sogenannten Antivertiginosa. Sie lindern den Schwindel, sollten aber nur kurzzeitig eingenommen werden.
Demgegenüber kann der Arzt Medikamente verordnen, um künftige Schwindelattacken zu vermeiden. Diese müssen über einen längeren Zeitraum eingenommen werden.
Bei vielen Erkrankungen wird auch ein spezielles Gleichgewichtstraining zur sogenannten vestibulären Rehabilitation angewendet. Dabei finden Übungen zur Stabilisierung des Gleichgewichtssystems statt.
Ihr Arzt wird Sie hierzu ausführlich beraten.
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